Quelle: HBS
Forderungen, Verfassungsgrundsätze und "Gesetzeslandschaften": Die Geschichte der Mitbestimmung beginnt im frühen 19. Jahrhundert
Schon im Vormärz, also im frühen 19. Jahrhundert, traten sozialliberale und selbst konservative Nationalökonomen, Staatsrechtler und Sozialreformer für den Rechtsanspruch der Beschäftigten auf eine institutionalisierte Arbeitervertretung in den Fabriken ein.
1919: Verankerung in der Verfassung
Während des Ersten Weltkriegs erkannte sogar das deutsche Militär die Vorteile der Mitbestimmung - allerdings nur an der so genannten Heimatfront. Das "Vaterländische Hilfsdienstgesetz" von 1916 sah unter anderem vor: In kriegswichtigen gewerblichen Betrieben mit mehr als 50 Arbeitern mussten Arbeiterausschüsse und bei mehr als 50 Angestellten Angestelltenausschüsse gebildet werden. In der Weimarer Reichsverfassung von 1919 wurde schließlich die Einrichtung von Betriebsräten verankert und von der Nationalversammlung 1920 das Betriebsrätegesetz verabschiedet.
Bereits 1934, kurz nachdem sie die Macht übernommen hatten, sorgten die Nationalsozialisten für einen jähen Bruch bei der Mitbestimmung. Nach dem Ende der Hitler-Diktatur und dem totalen Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft waren die West-Alliierten sich darin einig, dass die bisherigen wirtschaftlichen Machtstrukturen zerschlagen werden müssten. Schon 1946 regelte der Alliierte Kontrollrat in seinem Betriebsrätegesetz den Status und die Aufgaben der neuen Betriebsräte.
Neuanfang nach 1945
Ihr besonderes Augenmerk richteten die West-Alliierten auf die Kohle- und Stahlunternehmen im Ruhrgebiet. Nun konnten sich selbst die Unternehmer der Eisen- und Stahlindustrie für die Idee erwärmen, die Arbeitnehmer stärker an der Planung und Lenkung der Betriebe zu beteiligen. Sie hofften, mit Hilfe der Gewerkschaften die befürchtete dauerhafte ausländische Kontrolle über die Montanindustrie abwehren zu können.
Anfang 1947 erhielt die neu gegründete Hüttenwerke Hagen-Haspe AG einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat und einen Arbeitsdirektor im Vorstand. Damit war sie nach Kriegsende das erste mitbestimmte Unternehmen auf deutschem Boden. Andere Unternehmen folgten diesem Beispiel.
1951: Montan-Mitbestimmungsgesetz
Eine gesetzliche Grundlage erhielt die Unternehmensmitbestimmung in Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie 1951 mit dem Montan-Mitbestimmungsgesetz. IG Metall und IG Bergbau hatten allerdings erst mit einem Streik drohen, Bundeskanzler Konrad Adenauer sich persönlich in die Verhandlungen zwischen Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern einschalten müssen.
Die Unternehmensmitbestimmung für Arbeitnehmer außerhalb der Montanindustrie regelten seit 1952 Passagen im Betriebsverfassungsgesetz. Allerdings haben die Arbeitnehmer weitaus geringere Einflussmöglichkeiten, da ihnen nur ein Drittel der Aufsichtsratsmandate zusteht. In der Folgezeit setzten sich die Gewerkschaften dafür ein, das Montanmodell auf alle Wirtschaftsbereiche zu übertragen. Als Willy Brandt 1969 Bundeskanzler wurde, galt für ihn das Motto "Mehr Demokratie wagen" auch für die Wirtschaft.
1976: Ausweitung der Mitbestimmung
Ergebnis war das "Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer" von 1976. Es fand jedoch weder den Beifall der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber. Die Gewerkschaften vermissten in wichtigen Punkten gleichgewichtige und gleichberechtigte Mitbestimmung: Der Aufsichtsratschef, der nicht gegen die Kapitalseite benannt werden kann, hat im Zweifelsfall doppeltes Stimmrecht.
Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer hingegen sah in der Unternehmensmitbestimmung die "Gefahr einer gewerkschaftlichen Machtergreifung in Wirtschaft, Gesellschaft und letztlich im Staat". Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1979 bestätigte jedoch nicht nur die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, sondern auch das Prinzip der Mitbestimmung an sich.
Seit 2001 gilt die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes. Sie sieht erleichterte Betriebsratswahlen in Klein- und Mittelbetrieben vor. In Firmen mit mehr als 100 Beschäftigten soll es künftig auch mehr Betriebsräte geben. Damit stärkt das Gesetz die Betriebsräte.
1999: Urteil zur Montanmitbestimmung
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Montanquote im Mitbestimmungsergänzungsgesetz in der Fassung des Sicherungsgesetzes von 1988: Die Montanmitbestimmung gilt in Konzernobergesellschaften auch dann weiter, wenn der Montanbereich nicht mehr das Hauptgeschäft darstellt, aber noch 20% am Umsatz hat oder ebenfalls 20% der Mitarbeiter im Montangeschäft sind.
ZUSATZINFOS
Der Historiker Dr. Karl Lauschke berichtet von der Entstehungsgeschichte des Mitbestimmungsgesetzts von 1976. Wie die Gewerkschaften in der Politik Bündnispartner gewinnen und die Widerstände der Arbeitgeber überwinden mussten.
Broschüre "Mehr Demokratie in der Wirtschaft"