Quelle: HBS
2005: Zur Kritik an der Mitbestimmung im Aufsichtsrat
Eine Auseinandersetzung der Hans-Böckler-Stiftung mit den Thesen der Mitbestimmungskritiker. Diese Arbeit aus dem Jahr 2005 bezieht sich auf den damaligen Stand der Debatte.
Standortnachteil? Nicht mehr zeitgemäß? Die paritätische Mitbestimmung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Aufsichtsräten großer Kapitalgesellschaften steht in der Diskussion.
Kritikpunkt 1: Die deutsche Unternehmensmitbestimmung ist in einer modernen Wirtschaft nicht mehr zeitgemäß.
Die Mitbestimmung sei ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten und sollte beseitigt werden. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Michael Rogowski hat die Mitbestimmung im Aufsichtsrat als bürokratisches Monster bezeichnet, das nicht mehr in unsere Zeit passe (1). Zwar habe nach dem Zweiten Weltkrieg die Mitbestimmung erheblich zu einer friedlichen Wirtschaftsentwicklung und zu einem erfolgreichen Wiederaufbau beigetragen. Inzwischen habe die Wirtschaft aber genügend Eigenstabilität entwickelt; die Mitbestimmung sei daher nicht mehr erforderlich (2).
In einer globalisierten schnelllebigen Wirtschaft sei ein flexibler Personaleinsatz erforderlich. Dieser werde durch Mitbestimmung ausgebremst. Die Umsetzung von Innovationen in Unternehmen werde verhindert, weil die Beschäftigten kurzfristige Nachteile vermeiden wollen, die mit Änderungen einhergehen. Das deutsche System sei gegenüber Unternehmensentscheidungen schwerfällig (3). So werde den Unternehmen langfristiger Schaden zugefügt, bis hin zu möglichen Existenzgefährdungen.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zu Mitbestimmung 1979 (4) dem Gesetzgeber ausdrücklich eine Nachbesserungspflicht auferlegt, falls es durch Mitbestimmung zur Funktionsgefährdung der Unternehmen kommt. Diese Situation sei nun gegeben. (5)
Gegenargumente:
Die Funktion der Mitbestimmung, Konflikte zu mindern und Veränderungen in den Unternehmen abzufedern und sie damit teilweise erst durchführbar zu machen, hat keineswegs ausgedient. Sie kann gerade bei raschen wirtschaftlichen Veränderungen ein wichtiger Vorteil deutscher Unternehmen sein. Die Mitbestimmung hat von Anbeginn an den Beschäftigten bei Umbrüchen Sicherheit vermittelt und sie in Veränderungsstrategien eingebunden. In einer modernen Wirtschaft kommt es darauf an, Unternehmensstrategien gemeinsam mit den Beschäftigten zu verfolgen. Hierzu kann die Mitbestimmung auch heute noch und in der Zukunft einen erheblichen Beitrag leisten.
Wirtschaftliche Schäden: Bisher nicht nachgewiesen
Wirtschaftlich schädliche Folgen, bedingt durch die Unternehmensmitbestimmung, sind wissenschaftlich bisher nicht nachgewiesen worden. Empirische Studien zeigen, dass die größten Innovationshemmnisse ganz woanders liegen als bei der Mitbestimmung. So existieren durch fehlende Handlungsspielräume, direktive Führungsstile, mangelnde Dezentralisierung und bürokratische Verfahrensweisen in vielen Unternehmen innovationshemmende und -feindliche Strukturen und Kulturen. Die Strategien werden oft nicht konsequent auf Innovationen ausgerichtet. Stattdessen verfolgt das Management vielfach kurzfristige, nicht nachhaltige, innovationsvermeidende Shareholder-Value-Strategien.
Zahlreiche Beispiele aus Konzernen wie Volkswagen, Nestlé oder 3M zeigen, dass die Arbeitnehmerseite alles andere als Innovationen verhindert und sogar aktiv an ihnen mitgewirkt hat, nicht selten mit eigenen Beiträgen. In einer Reihe von Fällen hat sie geholfen, die genannten innovationshemmenden Unternehmensstrukturen zu beseitigen.
Unternehmerische Standortentscheidungen, Fusionen, Unternehmensaufspaltungen oder Strategieveränderungen sind nicht durch die Mitbestimmung verhindert, wohl aber häufig optimiert und abgefedert worden.
Mitbestimmung führt nicht zu geringerer Rentabilität
Auch rentabilitätsmindernde Effekte der Mitbestimmung konnten bisher nicht nachgewiesen werden (6). Durch Mitbestimmung ergeben sich negative wie positive Effekte. Auf dem Negativkonto stehen die Kosten der Arbeit der Mitbestimmungsgremien, die vom Arbeitgeber getragen werden müssen. Die positiven Effekte werden von den Mitbestimmungskritikern gerne verschwiegen: Mitbestimmung befördert die soziale Integration und wirkt deshalb motivationsfördernd. Mitbestimmte Unternehmen haben einen stabileren Stamm von Beschäftigten. Nicht nur Kündigungen seitens der Geschäftsleitung sind in mitbestimmten Unternehmen seltener, auch die Zahl von Kündigungen durch die Belegschaften fällt in mitbestimmten Unternehmen niedriger aus. Beides stärkt die Bereitschaft, in firmenspezifisches Know-how zu investieren. Hinzu kommt, dass der niedrigeren Personalfluktuation mitbestimmter Unternehmen eine überdurchschnittlich ausgeprägte Arbeitszeitflexibilität gegenübersteht. Abweichungen von Standard-Arbeitszeitmodellen kommen in mitbestimmten Unternehmen häufiger vor und schaffen auch bei stabilem Personalstamm die notwendige Beweglichkeit.
Der entscheidende wirtschaftliche Vorteil der Mitbestimmung stellt sich allerdings über das hohe Maß an Arbeitsfrieden her, das international nach wie vor als vorbildlich gilt.
Bundesverfassungsgericht: Breite Konsensbasis durch Mitbestimmung
Der Hinweis auf das angeblich mitbestimmungskritische Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1979 führt in die Irre. Es wird nämlich verschwiegen, dass das höchste deutsche Gericht 1999 deutlich positive Aussagen zum sogar weiter gehenden Modell der Montan-Mitbestimmung getroffen hat. Es verweist auf die durch Mitbestimmung breitere Konsensbasis und die größere Tragfähigkeit der Entscheidungen. (7)
Mitbestimmung ist ein Zukunftsmodell. Durch sie wird die Unternehmenspolitik rationaler, sicherer und planbarer und von der Belegschaft mitgetragen.
Fußnoten:
(1) Frankfurter Rundschau vom 06.01.2004
(2) André Leysen in Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.12.2003
(3) Financial Times Deutschland, "Amerikanische Verhältnisse", 19.12.2003
(4) BVerfGE Bd. 50, S. 290 f.; NJW 1979, S. 699 f.
(5) Zuletzt Prof. Immenga, FAZ vom 06.12.2003; siehe auch schon Ulmer ZHR 2002 S. 2171 ff.
(6) Martin Höpner, Die Argumente der Kritiker, in: Mitbestimmung 9/2003, S. 52 ff
(7) Urteil BVerfG vom 02.03.1999, NJW 1999, S. 1535 ff., S. 1536 f.
Kritikpunkt 2: Zur Motivation und Beteiligung der Beschäftigten ist die Unternehmensmitbestimmung überflüssig geworden.
Zur Stärkung der Motivation der Beschäftigten über Beteiligung sei die Mitbestimmung nicht mehr notwendig. Motivation werde heute wesentlich effektiver über gute Führungs-, Entgelt- und Personalentwicklungssysteme sichergestellt.
Die Einbeziehung der Arbeitnehmer in Entscheidungen sei zwar nach wie vor notwendig. Sie könne heute aber besser über direkte Beteiligung, über Betriebsräte und über Beratung der Unternehmensleitungen durch ausgewählte Arbeitnehmerrepräsentanten geschehen. Eine Gruppe von sechs Berliner Professoren schlägt in diesem Sinne vor, die Aufsichtsratsbeteiligung der Arbeitnehmer durch einen Konsultationsrat abzulösen. (1)
Gegenargumente:
Manageraussagen, der Mensch stehe bei ihnen im Mittelpunkt des Unternehmens, werden von den Beschäftigten oft als hohl erlebt. Ein verbindliches Mitbestimmungssystem hingegen bietet eine verlässliche Grundlage dafür, dass Beteiligung tatsächlich stattfindet. Und dies hat positiven Einfluss auf die Motivation der Betroffenen und auf die Identifikation mit dem Unternehmen.
Die deutsche Unternehmensmitbestimmung erfüllt wichtige Demokratie-Funktionen. Die Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrates werden von den Belegschaften demokratisch gewählt und genießen somit eine hohe Legitimation. Demgegenüber werden Vertreter der Kapitalseite von den Unternehmensvorständen nominiert und auf den Hauptversammlungen lediglich abgenickt, ohne dass die Anteilseigner Alternativen einbringen können.
Mitbestimmte Unternehmen: Mehr Transparenz und Kontrolle
Der Demokratieaspekt ist aus verschiedenen Gründen nicht zu unterschätzen: Große Probleme aus Belegschaftssicht werden Thema im Aufsichtsrat, an einem Ort, an dem Entscheidungen beeinflusst, und nicht lediglich beraten oder zur Kenntnis genommen werden. Dies trägt zu einer mündigen Belegschaft bei und steigert deren Identifikation mit dem Unternehmen.
Demokratisch legitimierte Arbeitnehmervertreter sorgen durch ihr Eingreifen für mehr Transparenz und Abwägungen von Aufsichtsratsentscheidungen. Dies erhöht die Qualität der Entscheidungen. Das angelsächsische/amerikanische Board-System (2) bietet keineswegs mehr Kontrollmöglichkeiten. Nicht zufällig sind nach einer Reihe von Skandalen in den USA über die dortige Bundesgesetzgebung Vorschriften eingeführt worden (3), die eine deutlichere Trennung von Leitung und Kontrolle des Managements herbeiführen.
Fußnoten:
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.12.2003 und Thesenpapier "Corporate Governance und Modernisierung der Mitbestimmung" des sog. "Berliner Netzwerk Corporate Governance" vom 05.12.2003
2) Im Unterschied zum dualistischen bzw. zweistufigen deutschen System der Unternehmenssteuerung und -kontrolle, in dem leitende Funktion (Vorstand) und kontrollierende Funktion (Aufsichtsrat) getrennt sind, ist das amerikanische Board-System monistisch bzw. einstufig: Leitende und kontrollierende Funktion sind in einem Gremium, nämlich dem Board, vereint.
(3) Sarbanes-Oxley-Act 2002
Kritikpunkt 3: In einer globalisierten Wirtschaft bedeutet die deutsche Unternehmensmitbestimmung einen erheblichen Standortnachteil.
Ausländische Investoren seien darüber erschreckt, dass Unternehmensentscheidungen in Deutschland nicht ausschließlich nach Gesichtspunkten wirtschaftlichen Erfolgs und der Wertsteigerung für Anteilseigner getroffen werden. Es störe sie, dass wirtschaftsfremde Gesichtspunkte berücksichtigt werden sollen. Außerdem verzögere die Mitbestimmung in den Augen ausländischer Investoren unternehmerische Entscheidungen. Dies gelte in einer Weltwirtschaft mit immer schnelleren Abläufen als erheblicher Nachteil. Die Mitbestimmung behindere internationale Aktivitäten deutscher Unternehmen, so eine Berliner Professorengruppe. (1)
BDI-Präsident Rogowski betont, dass die Mitbestimmung bei der neuen europäischen Rechtsform für grenzüberschreitende Konzerne, der Europäischen Aktiengesellschaft, bzw. Fusionen zu einem ernsthaften Investitionshindernis werde. (2)
Gegenargumente:
Von den 767 Unternehmen, die am 31.12.2002 dem deutschen Mitbestimmungsgesetz unterlagen, gehörten rund 30 Prozent unmittelbar oder mittelbar zu ausländischen Konzernen. (3) Ganz so abschreckend kann die deutsche Unternehmensmitbestimmung auf ausländische Investoren also nicht wirken.
Zahlreiche ausländische Konzerne haben in Deutschland wichtige Standorte errichtet, wie Nestlé, Coca Cola, General Motors, Ford, AMD oder Intel. Unternehmen wie der US-Konzern General Food haben ihre Holding sogar in Deutschland etabliert.
Ausländische Manager: Kein Problem mit der Mitbestimmung
Die Empirie zeigt, dass ausländische Manager, die für ihr Unternehmen in Deutschland aktiv sind, sehr viel nüchterner mit der deutschen Mitbestimmung umgehen, als behauptet. Sie sehen in ihr keinen wesentlichen Negativfaktor einer unternehmerischen Tätigkeit in Deutschland. Der Geschäftsführer der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft, der Amerikaner Bruce DeMarcus, sieht keine abschreckende Wirkung der deutschen Mitbestimmung: "Wenn ich amerikanischen Kollegen das System erkläre, haben sie kein Problem damit." (4)
In einer breit angelegten wissenschaftlichen Untersuchung wurde unter Managern aus 400 der größten deutschen Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen festgestellt, dass keines der ausländischen Unternehmen allein wegen seiner Erfahrungen mit der Mitbestimmung in Erwägung zieht, aus dem Land zu gehen oder neue Investitionen zu unterlassen. Mitbestimmung wird als ein Gesichtspunkt unter vielen bewertet. Andere Faktoren wie Marktgröße und Marktdynamik, das Vorhandensein guter Infrastruktur und qualifizierter Arbeitskräfte sind wesentlich wichtiger und ausschlaggebend.
Negatives Image schreckt ab: Bessere Information nötig
Allerdings lassen sich nicht wenige potenzielle Investoren vom negativen Image der Mitbestimmung beeindrucken, welches deutsche Wirtschaftsführer und Politiker im Ausland aktiv befördern. Ohne genauere Kenntnis der Praxis erwägen diese Manager erst gar nicht, nach Deutschland zu kommen. Hier besteht Bedarf, bereits im Vorfeld über das - zweifelsohne anspruchsvolle - deutsche Modell kooperativer Arbeitsbeziehungen mit dem Zusammenspiel zwischen Mitbestimmung und Tarifvertrag besser als bisher zu informieren. (5)
Dafür stehen genug empirische Argumente zur Verfügung: Im Bericht der "Kommission Mitbestimmung" 1998 von Bertelsmann Stiftung und Hans-Böckler-Stiftung wird konstatiert: "Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 hat in der Praxis, entgegen derzeitigen Befürchtungen, die Eigentumsrechte der Kapitaleigner grundsätzlich nicht eingeschränkt. Die Strategie der Unternehmen, die der Mitbestimmung unterliegen, wird von ihren Vorständen und Anteilseignern bestimmt und nicht von den Arbeitnehmervertretern. (.) In der Mehrzahl der Unternehmen haben Vorstände und Kapitaleigner gelernt, die Institution der Aufsichtsratsmitbestimmung nach den Bedürfnissen des Unternehmens zu gestalten und pragmatisch zur Konsensbeschaffung zu nutzen. Die Arbeitnehmervertreter haben sich dem nicht widersetzt." (6)
Studie: Mitbestimmte Unternehmen weniger krisenanfällig
Eine Studie von Roland Berger aus dem Jahre 2003 belegt, dass diejenigen Unternehmen, die ihre Vorgehensweise intensiv mit dem Betriebsrat abstimmen, wesentlich weniger krisenanfällig sind und besser und schneller eingetretene Krisen überwinden. (7) Dieses Verhalten der Betriebsräte kommt nicht von ungefähr. Viele Informationen und Einschätzungen stammen aus ihrer Beteiligung am Aufsichtsrat und am Wirtschaftsausschuss. (8) Dort setzen sie sich mit den Unternehmensstrategien sachlich auseinander. Die Erfahrungen kommen wiederum der Betriebsratsarbeit zugute. Die künstliche Trennung zwischen diesen Gremien, die Kapitalvertreter gerne vornehmen, wird dem produktiven Zusammenwirken der verschiedenen Mitbestimmungsebenen nicht gerecht. Aufgrund ihrer guten Kenntnis über Unternehmenszusammenhänge waren es oft die Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten, die vor Unternehmenskrisen und -zusammenbrüchen gewarnt hatten. Dies macht folgenden Satz eines Redakteurs der Financial Times Deutschland vielleicht etwas verständlich: "Die Aktionäre deutscher Unternehmen sollten sich glücklich schätzen, dass es hier Aufsichtsräte gibt. Sie sollten auch die Mitbestimmung lieben lernen. Gewiss sind Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaftsfunktionäre in den Aufsichtsräten lästig. Sie bieten aber auch Schutz gegen die allzu große Selbstherrlichkeit der Chefs." (9)
Fußnoten:
(1) Thesen der Berliner Professoren zur "Modernisierung der Mitbestimmung" vom 05.12.2003
2) Frankfurter Rundschau 06.01.2004
(3) Eigene Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit Prof. Theisen, Universität München, vgl. Mitbestimmung 1-2/2004
(4) Financial Times Deutschland, 16.01.2003
(5) Sigurt Vitols, Management Cultures in Europe: European Works Councils and Human Resource Management in Multinational Enterprises, Berlin 2003
(6) Bertelsmann Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen - Bilanz und Perspektiven, Bericht der Kommission Mitbestimmung, Gütersloh 1998, S. 95 f.
(7) Roland Berger, Restrukturierung in Deutschland - früher, schneller und härter, aber noch nicht genug, Studie, Düsseldorf November 2003
(8) Der Wirtschaftsausschuss muss nach Betriebsverfassungsgesetz (§ 106) in Unternehmen mit mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern gebildet werden und hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten zwischen Unternehmer und Betriebsrat zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten.
(9) Lucas Zeise in Financial Times Deutschland vom 14.01.2003
Kritikpunkt 4: Die deutsche Unternehmensmitbestimmung schädigt die Interessen der Anteilseigner.
Betriebliche Mitbestimmung und Mitbestimmung im Aufsichtsrat führten gemeinsam zum Kuhhandel zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmerseite. Daraus resultierten Intransparenzen und Täuschungen gegenüber den Anteilseignern des Unternehmens, denen so Schaden zugefügt werde. In der Konsequenz bestraften die Kapitalmärkte derartige Unternehmen mit Abschlägen des Aktienkurses.
Gegenargumente:
Auf der Grundlage empirischer Untersuchungen zeigt der Direktor des Max-Planck-Institutes für Gesellschaftsforschung in Köln, Prof. Wolfgang Streeck, dass die Mitbestimmung zu keinen Bewertungsabschlägen in den Aktienkursen betreffender Unternehmen führt. (1)
Die Unternehmen sind aufgrund der internationalen Konkurrenz gezwungen, eine höhere Profitrate zu erzielen, um sich gegen die Übernahme durch ausländische Konzerne zu schützen und nicht zum Spielball der Finanzmärkte zu werden. Belegschaften und Unternehmensleitungen sorgten in mitbestimmten Unternehmen, so Streeck, in diesen Fällen gemeinsam für eine Verbesserung des Aktienkurses. (2)
Insgesamt hemmt die Mitbestimmung Selbstbedienungspraktiken von Vorständen. Auch dies dient den Interessen der Anteilseigner. (3) Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat hierzu in der Corporate Governance-Debatte seine Position eingebracht und zum einen die Aufsichtsräte angeregt, sich über angemessene Vergütungen von Vorständen auseinanderzusetzen und zum zweiten vorgeschlagen, auch die gewinnabhängigen Bestandteile der Vorstandsvergütungen zu begrenzen. (4)
Fußnoten:
(1) Berliner Zeitung, 11.12.2004
(2) ebd.
(3) Frank A. Schmidt, Vorstandsbezüge, Aufsichtsratsvergütungen und Aktionärsstruktur, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 67, 1997, 67-83
(4) Deutscher Gewerkschaftsbund, Angemessene Vorstands- und Aufsichtsratsvergütungen, Berlin 2003
Kritikpunkt 5: Die deutsche Mitbestimmung beeinträchtigt die Entwicklung der Unternehmen.
Mitbestimmung richte sich gegen wettbewerbsorientierte Unternehmensstrategien. Sie führe zu langatmigen Entscheidungsprozessen und verhindere dadurch schnelle Reaktionen auf neue Marktanforderungen und Kundenbedürfnisse.
Die Top-Manager der Unternehmen vermieden für die Entwicklung des Unternehmens notwendige Entscheidungen, weil sie über den mitbestimmten Aufsichtsrat bestellt werden.
Wichtige Unternehmensentscheidungen oder Konfliktpunkte gelangten erst gar nicht in die Aufsichtsratssitzungen. Typisch sei ein Auskungeln zwischen Unternehmensleitungen und Arbeitnehmerseite jenseits der Sitzungen des Gremiums. (1)
Gegenargumente:
Falls es bei der Bestellung von Top-Managern zu unterschiedlichen Positionen oder gar zu Konflikten kommt, sichert das Gesetz der Anteilseignerseite über das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden ein Übergewicht zu. Die Arbeitnehmerseite verfügt in personellen Fragen letztendlich über keine Durchsetzungsmacht. Es ließen sich eine ganze Reihe von Beispielen anführen, in denen Bestellungen von Managern gegen die Argumente und Stimmen der Arbeitnehmerseite durchgesetzt wurden. Davon abgesehen sind Konsensentscheidungen in Personalfragen nichts Schlechtes, verschaffen sie den Managern doch eine deutlich größere Akzeptanz in der Belegschaft, wie sich aus konkreten Fällen ersehen lässt.
Die Behauptung eines Interessenfilzes ist durch die Praxis in den Unternehmen widerlegt: Personalabbauprogramme, Outsourcing-Projekte, Produktionsverlagerungen ins Ausland oder Arbeitszeiterhöhungen sind sicherlich Maßnahmen, die ArbeitnehmerInnen-Interessen negativ betreffen - und die dennoch stattfanden. Dass das deutsche Mitbestimmungssystem so manchen Kompromiss erzwingt, damit unternehmerische Maßnahmen nicht gänzlich zu Lasten der Beschäftigten gehen, dürfte akzeptabel sein.
Fußnoten:
(1) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26.10.2003
Kritikpunkt 6: Die Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten führt zu übergroßen nicht arbeitsfähigen Gremien.
Die Gesetzesvorschriften erzwängen Vertretungen der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften in den Aufsichtsräten. Dies führe teilweise zu Gremien mit 20 Personen. Die Arbeitsfähigkeit des Gremiums sei dadurch erheblich beeinträchtigt. (1) Der Vorsitzende der Kodex-Kommission Corporate Governance, Gerhard Cromme, appellierte Mitte 2003 an den Gesetzgeber, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Aufsichtsräte verkleinert und stärker fachlich statt paritätisch besetzt werden können. Er sieht die Obergrenze bei 14 Mitgliedern. (2)
Ein wesentliches Hindernis, die Größe der Gremien zu reduzieren, sieht der Frankfurter Aktienrechtler Theodor Baums darin, dass die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten den größten Teil ihrer Tantiemen an die Hans-Böckler-Stiftung abführen müssen und sich daraus Interessen am Erhalt dieser Finanzquelle ableiten lassen. (3)
Gegenargumente:
Zieht man bei der Größe der Aufsichtsräte die Empirie zu Rate, kommt man zu folgenden Ergebnissen: 515 der 767 mitbestimmten Unternehmen (67 Prozent) hatten Ende 2002 einen zwölfköpfigen Aufsichtsrat. (4) Bei den 152 Aufsichtsräten mit 20 Mitgliedern wählten 42 Prozent der Unternehmen diese Aufsichtsratsgröße freiwillig und hatten dafür offensichtlich gute Gründe.
Betrachtet man die großen Aufsichtsratsgremien genauer, ergibt sich ein detaillierteres Bild: Ein unschätzbarer Vorteil nicht zu kleiner Gremien ist es, dass die Beteiligung unterschiedlicher Gruppen Aufsichtsratsentscheidungen aus verschiedenen Blickwinkeln ermöglicht und somit deren Qualität erhöht. Größere Gremien wenden im Übrigen zur Effizienzsteigerung erfolgreich eine Reihe von Instrumenten und Vorgehensweisen an. So bereiten dort Ausschüsse die Entscheidungen im Einzelnen vor.
Fußnoten:
(1) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 26.10.2003. Vgl. auch BDI-Präsident Michael Rogowski in Süddeutsche Zeitung vom 2.7.2003 und den Leiter der Corporate-Governance-Expertengruppe der Europäischen Kommission Jaap Winter in Wirtschaftswoche 19.06.2003
(2) Börsenzeitung 27.06.2003
(3) Börsenzeitung 27.06.2003
(4) Eigene Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung. Vgl. Irene Diel, Die Anteilseignerseite der DAX 30-Unternehmen, in: Mitbestimmung 12/2003, S. 64 f.
Kritikpunkt 7: Es ist Zeit, die internationale Besonderheit der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu beseitigen.
Kein Land verfüge über ein derartiges Unternehmensmitbestimmungsmodell wie Deutschland. Es werde daher in der Welt einhellig abgelehnt. (1) Die deutsche Besonderheit führe mindestens zu Irritationen, meist aber zu Zurückhaltung oder Vermeidungsverhalten bei wirtschaftlichen Kooperationen, Zusammenschlüssen oder ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland.
Gegenargumente:
Die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen an Unternehmensorganen ist kein auf Deutschland beschränktes Phänomen. In zahlreichen EU-Ländern finden wir Vertretungsmodelle. Die Beteiligungsformen sind sehr unterschiedlich. Sicherlich hat Deutschland das für ArbeitnehmerInnen weitestgehende Mitbestimmungsmodell. Grundsätzlich müssen sich ausländische Investoren aber auch in anderen Ländern auf die jeweiligen nationalen Besonderheiten einstellen.
Auch die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat das deutsche Recht verstanden und akzeptiert. Die Börsenregeln sind so verfasst, dass deutsche Unternehmen keine Probleme bekommen. Hier ein Redeauszug eines offiziellen Repräsentanten der SEC: "Im Rahmen des Kommentierungsprozesses war die SEC in der Lage, das deutsche Recht zu verstehen: sie wollte keinen Konflikt mit diesem nationalen Recht, insbesondere, wenn diese Arbeitnehmer Nicht-Managementinteressen repräsentieren und machte eine Ausnahme von den Börsenregeln." (2)
Fußnoten:
(1) Prof. Michael Adams in der Süddeutschen Zeitung vom 11.12.2003. Vgl. auch die Aussagen von BDI-Präsident Michael Rogowski in der Börsenzeitung vom 25.07.2003: "Die deutsche Mitbestimmung ist einzigartig. Kein anderes Land ist weltweit je auf die Idee verfallen, dem deutschen Vorbild nachzueifern und das unternehmerische Kontrollorgan ohne Legitimation durch den Eigentümer zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen."
(2) Übersetzung der schriftlichen Fassung der Rede von SEC-Commissioner Atkins am 16.10.2003 in Frankfurt
Kritikpunkt 8: Neue Entwicklungen machen die deutsche Unternehmensmitbestimmung in Europa zu einem Störfaktor.
Die deutsche Mitbestimmung behindere im Prinzip alle grenzüberschreitenden gesellschaftsrechtlichen Harmonisierungsvorhaben. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur völligen Niederlassungsfreiheit von Unternehmen im Bereich der EU habe das Ende der deutschen Mitbestimmung besiegelt. (1)
Der belgische Unternehmer André Leysen, Mitglied in zahlreichen deutschen Aufsichtsräten, meint, dass die Mitbestimmung die notwendige Integration der europäischen Wirtschaft verhindere. (2)
Gegenargumente:
Harmonisierungsbestrebungen des europäischen Gesellschaftsrechtes gibt es bereits seit Jahrzehnten. Ihre Umsetzung aber kommt nur langsam voran. Eines der Probleme sind die unterschiedlichen Beteiligungsmodelle der ArbeitnehmerInnen in den Unternehmensorganen der verschiedenen europäischen Länder. Die deutsche Mitbestimmung ist dabei nicht das vorrangige Problem.
Mit der Schaffung einer europäischen Aktiengesellschaft (societas europaea - SE) ist die Beteiligung der ArbeitnehmerInnen in Unternehmensorganen europaweit generell anerkannt worden. In der entsprechenden EU-Richtlinie (3) sind eigenständige Rechte von Gewerkschaftsvertretern erwähnt, denn die Unterscheidung zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften ist in vielen europäischen Ländern ohnehin unbekannt.
Europa: Alle Modelle können weiter bestehen
Die europäischen Instanzen haben die Pluralität der Unternehmensverfassungen akzeptiert. Alle Modelle können weiter bestehen. Und umgekehrt haben die Unternehmen bei der Bildung einer europäischen Aktiengesellschaft die Wahl zwischen den verschiedenen in Europa existierenden Unternehmensverfassungen. Die Mitbestimmung ist im Einzelnen mit einem besonderen Gremium jeweils zu verhandeln. Eine Behinderung durch das deutsche Unternehmensmitbestimmungsmodell kann es also nicht geben.
Bei der Verschmelzung oder Sitzverlegung von europäischen Unternehmen ist die Mitbestimmungsfrage wie bei der SE zu lösen: sie kann über ein besonderes Verhandlungsgremium geregelt werden. Gravierendere Harmonisierungsprobleme liegen auf anderen Feldern, z.B. im Steuerrecht.
Europäische Rechtsprechung: Kein Ende der Mitbestimmung
Der Europäische Gerichtshof hat in letzter Zeit mehrere Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit europäischer Unternehmen in den EU-Ländern getroffen. Die Richtung geht dahin, dass sich Unternehmen eines Landes in einem anderen Land niederlassen können, ohne die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Niederlassungslandes anwenden zu müssen. Einige Kritiker leiten daraus ab, dass auf diese Weise die deutsche Mitbestimmung umgangen werden kann. Beim Studium der "Überseering-Entscheidung" (4) des Europäischen Gerichtshofs entdeckt man allerdings, dass das Gericht den nationalen Gesetzgebern einen Spielraum zum Schutze der Arbeitnehmerinteressen zubilligt. Das Ende der Mitbestimmung ist also durch die höchste europäische Rechtsprechung nicht besiegelt worden.
Fußnoten:
(1) So ausdrücklich Adams, Süddeutsche Zeitung vom 11.12.2003. Siehe auch Berliner Professorengruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.12.2003.
(2)Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.12.2003
(3) Ergänzung des Status der SE hinsichtlich der Beteiligung der ArbeitnehmerInnen
(4) ZIP, 2002, S. 2037 f.; Der Betrieb, 2002, S. 2425 f.
Kritikpunkt 9: In internationalisierten Unternehmen und Wirtschaftsabläufen sind die ausschließlich mit deutschen Vertretern besetzten Aufsichtsräte ein schwerer Konstruktionsfehler.
Die Nichtvertretung der ausländischen Arbeitnehmer im deutschen Aufsichtsrat bedeute eine mangelnde Legitimation der Arbeitnehmerbank. Besonders drastisch zeigten dies Fälle, in denen über die Hälfte der Konzernbeschäftigten im Ausland beschäftigt ist.
Die Nichtvertretung ausländischer Konzernbeschäftigter führe zu Fehlsteuerungen. So verhinderten die deutschen Arbeitnehmervertreter den Auf- oder Ausbau einer rentableren Produktion im Ausland, um ihre eigenen Privilegien zu erhalten.
Gegenargumente:
Dass ausländische Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte internationaler Konzerne gehören, ist auch die Position des DGB. (1) Ausländische ArbeitnehmerInnen sollten an der Wahl der Arbeitnehmervertreter des Aufsichtsrats eines deutschen Unternehmens beteiligt sein. Allerdings ist diese Forderung nicht leicht rechts- und gesetzestechnisch umzusetzen, denn sie erforderte ein grenzüberschreitendes Vorgehen unter Beteiligung aller betroffenen Länder. Bisher können Arbeitnehmer nur dann in einen deutschen Aufsichtsrat gewählt werden, wenn sie einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen mit Sitz in Deutschland haben. Deshalb schlägt der Deutsche Gewerkschaftsbund vor, in einem ersten Schritt die Gesetze für das passive Wahlrecht zu öffnen.
Fußnoten:
(1) Vgl. die Beiträge des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie Hubertus Schmoldt und des DGB-Bundesvorstandsmitgliedes Dietmar Hexel in: Mitbestimmung 9/2003. Früh schon Schmoldt in Mitbestimmung 6/2002.
Kritikpunkt 10: Die Vertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten verhindert eine effiziente Aufsichtsratsarbeit. Die Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten sind für diese Funktion nicht qualifiziert.
Kompetenzen, die für die Ausfüllung der Rolle erforderlich sind, wie unternehmerische Erfahrung oder Sicherheit in der Interpretation der Bilanz, seien auf der Arbeitnehmerseite unzureichend ausgebildet. Verwiesen wird auf die besonderen Biografien der Arbeitnehmervertreter, die eine Qualifizierung für die Aufsichtsratsarbeit ausschlössen. (1)
Die Arbeitnehmer thematisierten in den Aufsichtsräten Fragen, die oft nicht relevant seien. Sie seien außerdem nicht in der Lage oder willens, effizient an Entscheidungsprozessen des Aufsichtsrates mitzuwirken.
Vertreter der Kapitalseite brächten im Aufsichtsrat keine Kritik gegen Unternehmensleitungen vor, um die Manager nicht vor der Arbeitnehmerbank bloßzustellen.
Die Überwachungseffizienz des Unternehmens sehen die sechs bereits zitierten Professoren des sog. Berliner Netzwerkes Corporate Governance durch den von ihnen vorgeschlagenen Konsultationsrat besser gewährleistet als durch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. (2)
Gegenargumente:
Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten haben sehr gute Kenntnisse über Strategien, Zusammenhänge und Abläufe in ihrem Unternehmen. Sie können oft deutlich besser als unternehmensfremde Aufsichtsratsvertreter Risiko- und Erfolgsfaktoren des Unternehmens abschätzen und Bewertungen und Hintergründe von Zahlen und Aktivitäten einbringen. Durch Ausschluss der Arbeitnehmer aus den Aufsichtsräten würden den Gremien wichtige Beiträge bei der problemorientierten Entscheidungsfindung entzogen.
Sicherlich haben viele Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten keine betriebswirtschaftliche Erstausbildung genossen. Man darf aber nicht übersehen, dass es sich fast immer um langjährige Betriebsratsmitglieder handelt, die sich im Laufe dieser Tätigkeit ein solides Basiswissen angeeignet haben.
Baums-Kommission würdigt Qualifikation der Arbeitnehmervertreter
Im Bericht der Baums-Kommission (3) werden ausdrücklich die Maßnahmen der Gewerkschaften gewürdigt, mit denen die Arbeitnehmervertreter systematisch für die Aufsichtsratsarbeit qualifiziert werden: "In der Praxis wird die für die Aufsichtsratsarbeit erforderliche Qualifikation der ArbeitnehmervertreterInnen durch entsprechende Schulungen sichergestellt, soweit sie nicht bereits aufgrund entsprechender Ausbildung und Erfahrung vorhanden ist." (4) Florian Schilling, Vertreter der internationalen Personalberatung Heidrick & Struggles, stellt aufgrund empirischer Untersuchungen bei der Evaluierung der Aufsichtsratsarbeit fest, dass es keine signifikanten Unterschiede in der Qualität zwischen Arbeitnehmer- und AnteilseignervertreterInnen gebe. (5)
Es ist keine Frage, dass in der Weiterbildung auf der Arbeitnehmerseite zusätzliche Anstrengungen unternommen werden müssen. Selbstkritisch wird dieser Punkt von den Arbeitnehmerorganisationen immer wieder verfolgt. (6)
Für das Argument, dass Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten oft irrelevante Fragen einbrächten, wird man vergeblich nach Beweisen suchen.
Zu viele Mandate führen zu schlechterer Aufsichtsratsarbeit
Wirklich problematisch für eine effektive Aufsichtsratsarbeit hingegen sind Überkreuzmandate der Vertreter der Kapitalseite: Manager aus dem einen Unternehmen üben die Aufsicht in einem anderen aus, welches wiederum Manager in den Aufsichtsrat des ersten Unternehmens entsendet. Dies führt zu problematischen Interessenverflechtungen und gegenseitigen Verpflichtungen.
Der Effizienz der Aufsichtsratsarbeit ebenso abträglich ist die hohe Zahl gleichzeitig wahrgenommener Mandate von Aufsichtsratsvertretern der Kapitalseite. Eine ordnungsgemäße Befassung mit den Angelegenheiten der einzelnen Aufsichtsräte ist dabei schon rein zeitlich nicht möglich. Nicht umsonst haben sich die Regierungskommissionen zu Corporate Governance gerade mit diesem allgemein bekannten Missstand befasst und nur wenige Aufsichtsratsmandate pro Person empfohlen.
Falls das Argument stimmt, dass Kapitalvertreter Kritik am Management wegen der anwesenden Arbeitnehmervertreter vermeiden, dann muss man nach den entsprechenden Gründen fragen. Empfinden diese Vertreter gegenüber dem Management eine zu hohe Loyalität? Dann können sie kaum noch als unabhängig gelten.
Fußnoten:
(1) So der Hamburger Professor Michael Adams in der Süddeutschen Zeitung vom 11.12.2003
(2) Frankfurter Rundschau 06.01.2004
(3) Die erste der beiden Kommissionen der Bundesregierung, die sich mit der Corporate Governance, also der Steuerung und Kontrolle, von Unternehmen befasste und vom Aktienrechtler Prof. Theodor Baums, Frankfurt, geleitet wurde.
(4) Bericht der Regierungskommission Corporate Governance 2001, S. 319
(5) So auf einer Veranstaltung des Deutschen Aktieninstituts im Jahre 2003.
(6) So das DGB-Bundesvorstandsmitglied Heinz Putzhammer in Mitbestimmung 6/2002, S. 14: "Die Fortentwicklung der deutschen Corporate Governance durch den Kodex und die Gesetzesänderungen erhöht die Anforderungen an die Arbeitnehmervertreter. Die höhere Transparenz über die Unternehmenskennzahlen und die mittelfristig höhere Bedeutung internationaler Rechnungslegungsstandards erfordern eine bessere Qualifizierung der Arbeitnehmervertreter. Dies betrifft besonders betriebswirtschaftliche Kenntnisse."
Kritikpunkt 11: Arbeitnehmern fehlt die für die Ausübung eines Aufsichtsratsmandats notwendige Unabhängigkeit.
Arbeitnehmervertreter erfüllten nicht die Anforderung der Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Sie würden nach Proporzgesichtspunkten ausgewählt und handelten im Auftrag der sie entsendenden Belegschaftsmitglieder oder Arbeitnehmerorganisationen. So entschieden sie im Aufsichtsrat nicht objektiv über die Belange des Unternehmens.
Gegenargumente:
Dass die Arbeitnehmervertreter nicht unabhängig ihre Positionen in den Aufsichtsräten vertreten, ist eine bloße Behauptung.
Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten beweisen vielmehr täglich ihre Unabhängigkeit in Aufsichtsräten. Dass sie die Interessen des wichtigsten Teils des Unternehmens, der Beschäftigten, im Auge haben, stellt dies in keiner Weise in Frage.
Unabhängigkeit von Kapitalvertretern eingeschränkt
Umgekehrt sind Zweifel an der Unabhängigkeit vieler Kapitalvertreter angebracht, wenn diese beispielsweise einen erheblichen Teil ihres persönlichen Einkommens durch Aufsichtsratstantiemen erzielen. Im Gegensatz dazu führen die Arbeitnehmervertreter ihre Aufsichtsratsvergütung größtenteils an die Hans-Böckler-Stiftung ab. Ihnen kann man die Wahrnehmung des Mandats aus finanziellen Interessen gerade nicht unterstellen.
Die Unabhängigkeit vieler Kapitalvertreter ist auch eingeschränkt, wenn diese sich in Überkreuz-Mandaten gegenseitig kontrollieren sollen oder wenn sie Mandate bei konkurrierenden Unternehmen ausüben. (1) Dasselbe gilt für Bankenvertreter, Kreditgeber oder Großaktionäre, die an dem Unternehmen beteiligt sind. Die Unabhängigkeit ist ebenso gefährdet, wenn Kunden der Anteilseignerbank angehören und die Vorstände sich hüten, Details über ihre Strategien im Aufsichtsrat offen zu legen.
Beispiel Krupp und Thyssen: Rollenkonflikt vorprogrammiert
Das verbreitete nahtlose Überwechseln von Mitgliedern des Vorstandes in den Aufsichtsrat des gleichen Unternehmens, nicht selten mit der Übernahme der Vorsitzendenfunktion im Kontrollgremium verbunden, kann durchaus als Missstand betrachtet werden. (2)
Ein Beispiel für Rollenkonflikte auf der Kapitalseite, in denen die Unabhängigkeit nicht gegeben ist, war der Übernahmekampf zwischen Krupp und Thyssen. Die Deutsche Bank, die an der Übernahmeaktion beteiligt war, hatte sowohl einen Sitz im Aufsichtsrat von Thyssen als auch in dem von Krupp. Man braucht nicht viel Phantasie, um die Schwierigkeit, sich für das Wohl des Übernahmekandidaten einzusetzen, zu erahnen.
Fußnoten:
(1) siehe zu den neusten Befunden: Irene Diel, Die Anteilseignerseite der DAX 30-Unternehmen, in: Mitbestimmung 12/2003, S. 64 f.
(2) Börsenzeitung 15.08.2003
Kritikpunkt 12: Gewerkschaftsvertreter gehören prinzipiell nicht in den Aufsichtsrat.
Gewerkschaftsfunktionäre mit Aufsichtsratsmandat verträten nicht die Interessen des betreffenden Unternehmens. Sie trügen unternehmensfremde Gesichtspunkte und Interessen ihrer Organisationen in die Gremien hinein.
Gegenargumente:
Wie die anderen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sind auch die Gewerkschaftsvertreter durch die Belegschaft des Unternehmens demokratisch gewählt. Sie erfüllen folgende wichtigen Funktionen:
- Sie bringen auf Arbeitnehmerseite unternehmensübergreifende Sichtweisen in die Verhandlungen des Aufsichtsrates ein. Sie stärken damit die Kompetenz der Arbeitnehmerbank. Sie besitzen umfassende Branchenkenntnisse und sind in besonderem Maß über das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens informiert.
- Sie sind Vertreter einer der bedeutendsten Anspruchsgruppen (stakeholder) an das Unternehmen, nämlich der gewerkschaftlich organisierten ArbeitnehmerInnen.
- Sie verfügen über umfassende Kenntnisse, die für die Diskussionen und Entscheidungsfindungen im Aufsichtsrat sehr wertvoll sind.
- Die Mitwirkung von Gewerkschaftsvertretern wirkt sich vor allem dann positiv für das Unternehmen aus, wenn es um das Überwinden allzu kurzfristiger Unternehmensstrategien zugunsten stärkerer Nachhaltigkeit und um die Lösung von Widersprüchen zwischen kurz- und langfristigen Arbeitnehmerinteressen geht.
- Nicht zuletzt sind die gewählten Vertreter der Gewerkschaften in besonderem Maß unabhängig von den Unternehmensleitungen, da sie nicht der unternehmerischen Disposition unterliegen.
Kritikpunkt 13: Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat unterliegen einer Interessenkollision.
Gewerkschaftsvertreter unterlägen gravierenden Rollenkonflikten und dürften daher grundsätzlich keine Aufsichtsratsmandate wahrnehmen. Dies wird gern am vermeintlichen "Fall Bsirske" demonstriert. Bsirske wird vorgeworfen, in seiner Funktion als Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di einen Streik gegen die Flughafengesellschaft Fraport AG geführt und damit direkt oder indirekt die Lufthansa AG geschädigt zu haben, bei der er im Aufsichtsrat sitzt. So habe er gegen die Pflicht verstoßen, sich im Rahmen seiner Aufsichtsratsfunktion für das Wohl des Luftfahrtunternehmens einzusetzen. (1)
Gegenargumente:
Eine soeben von der Hans-Böckler-Stiftung vorgelegte Studie der Rechtsprofessoren Hanau (Köln) und Wackerbarth (Hagen) (2) kommt zu folgendem Ergebnis: Mögliche Interessenkollisionen sind grundsätzlich ein Problem beider Seiten. Die Kollisionsregeln bei Personen, die sowohl eine Aufsichtsratsfunktion in einem Unternehmen und gleichzeitig die Tarifzuständigkeit für dieses Unternehmen haben, sollten zurückhaltend angewandt werden. Aus dem Interessengegensatz der Koalitionsparteien könne nicht eine Enthaltsamkeit bei den Ämtern in der Tarif- und in der Aufsichtsarbeit abgeleitet werden. Nur wo anerkannte Grundsätze eine Doppelfunktion bei Interessenkollisionen ausschließen, sollten Fachgerichte eine spezielle Konfliktlösung vorgeben.
Gesetzgeber akzeptiert bestimmte Interessenkollisionen
Die Regeln des Aktiengesetzes und des Mitbestimmungsgesetzes zeigen, dass der Gesetzgeber bei den Mitgliedern des Aufsichtsrates bestimmte Interessenkollisionen grundsätzlich in Kauf nimmt. Das Aufsichtsratsamt ist als Nebenamt konzipiert. Interessenkollisionen können sich auch und gerade bei Mitgliedern der Anteilseignerbank ergeben, beispielsweise bei Vertretern von Banken, die Kredite an das Unternehmen gewähren; bei Managern konkurrierender Unternehmen; bei Überkreuzmandaten; bei Kunden-Abnehmer-Verhältnissen von Managern des Unternehmens und Aufsichtsratsmitgliedern (siehe auch Kritikpunkt 9).
Gewerkschaften sind für verantwortungsbewusstes Verhalten
Die Gewerkschaften wollen das Problem der Interessenkollisionen nicht etwa klein reden. Sie sind bemüht, diese nicht entstehen zu lassen. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Aufsichtsratstätigkeit, die der DGB im März 2003 im Zusammenhang mit der Corporate-Governance-Debatte beschlossen hatte, empfehlen, derartige Konflikte durch entsprechendes Verhalten zu vermeiden. (3) Dementsprechend hatte der gewerkschaftliche Verhandlungsführer des Firmentarifvertrags für Volkswagen noch nie einen Sitz im Aufsichtsrat des Automobilherstellers.
Fußnoten:
(1) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 26.10.2003
(2) Erscheint demnächst im Nomos-Verlag Baden-Baden
(3) Hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung. Die erste Fassung erschien im Frühjahr 1998, also bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz in den Unternehmen (KonTraG)
Die Kritik an den Kritikern der deutschen Mitbestimmung bedeutet nicht, dass alles so bleiben sollte, wie es ist.
Keiner bestreitet, dass das deutsche Mitbestimmungssystem sich angesichts veränderter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedingungen immer wieder neu positionieren und weiterentwickeln muss.
So besteht Handlungsbedarf bei der Vertretung ausländischer Beschäftigter im Konzernaufsichtsrat. Hierzu hat der DGB einen Vorschlag eingebracht.
Die Probleme, mit denen sich Aufsichtsräte befassen, sind komplexer geworden; die Anforderungen an die Mitglieder dieser Gremien steigen erheblich. Die Qualifizierung der Aufsichtsratsmitglieder muss mit dieser Entwicklung Schritt halten. Dies gilt für beide Seiten.
Die Wirtschaftsabläufe sind schneller geworden. Manche Entscheidung muss rascher als in früheren Jahren getroffen werden. Helfen können hierbei häufigere Sitzungen, unkompliziertere Abstimmungsverfahren und eine noch bessere Aufgabenteilung zwischen Gesamtaufsichtsrat und Ausschüssen.
Die Verfahren für die Aufsichtsratswahl lassen sich erheblich verbessern. Von der Arbeitnehmerseite ist vorgeschlagen worden, dass die jährliche Betriebsrätevollversammlung auch das Wahlorgan für die Aufsichtsratswahl sein sollte. Das Gremium wäre demokratisch legitimiert. Die Arbeitgeberverbände haben ein derart vereinfachtes und kostengünstiges Wahlverfahren aber immer wieder abgelehnt.
Es ist nicht zu befürchten, das deutsche System der Mitbestimmung könne neuen Anforderungen nicht gerecht werden. Ihre Modernisierungsfähigkeit hat die deutsche Mitbestimmung noch stets unter Beweis gestellt.