Quelle: HBS
Basiswissen Mitbestimmung: 1. Was ist Mitbestimmung?
Was genau ist Mitbestimmung? Warum ist sie wichtig? Bei welchen Themen können Beschäftigte mitbestimmen?
Mitbestimmung umfasst alle Möglichkeiten und Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Arbeitswelt aktiv mitzugestalten. Wesentliche Mitbestimmungsrechte sind im Betriebsverfassungsgesetz, in den Personalvertretungsgesetzen auf Bundes- und Länderebene sowie in den Gesetzen zur Unternehmensmitbestimmung festgeschrieben. Die Rechtsprechung trägt wesentlich zur Präzisierung der Gesetze bei. Darüber hinaus regeln die Tarifpartner in Tarifverträgen wesentliche Fragen zu Entgelt und Arbeitsbedingungen in den Branchen. Betriebs- und Dienstvereinbarungen konkretisieren diese Themen weiter, wo es zulässig ist. Die Gewerkschaften arbeiten über die gewerkschaftlichen Vertrauensleute in den Betrieben eng mit den Betriebsräten zusammen. Mitbestimmung ist ein Recht und lebt vom Mitmachen.
Weil wir in einer Demokratie leben und im Unternehmen mündige Bürgerinnen und Bürger arbeiten. Von Mitbestimmung in allen ihren Formen profitieren Belegschaft und Unternehmen gleichermaßen. Das belegen empirische Studien. Positive Effekte für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können höhere Löhne und mehr Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen sein, mehr Ausbildungsplätze und ein besserer Urlaubsanspruch. Mitbestimmung sorgt für mehr Jobsicherheit und für familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Mitbestimmte Unternehmen sind produktiver, investieren auch ökologisch und machen Rendite (siehe auch 1.5 „Wie wirkt Mitbestimmung sich wirtschaftlich aus?“)
Publikation: Mitbestimmung - Das demokratische Gestaltungsprinzip der Sozialen Marktwirtschaft (pdf)
Mitbestimmung bedeutet, sich direkt am Arbeitsplatz für seine Belange einsetzen zu können. Es bedeutet auch, nicht alle Themen individuell mit dem Arbeitgeber verhandeln zu müssen, sondern eine gewählte Interessenvertretung zu haben, die das macht. Aber Mitbestimmung umfasst weit mehr. Auf betrieblicher Ebene haben die gewählten Arbeitnehmervertreter je nach Thema abgestufte Rechte auf Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung. Mitsprachemöglichkeiten gibt es zum Beispiel bei Arbeitszeit, Dienstplänen und Weiterbildung, aber auch bei der Einführung neuer IT-Systeme oder Technologien. Der Betriebsrat verhandelt Betriebsvereinbarungen und wacht zum Beispiel darüber, dass der Arbeitgeber Gesetze einhält und Beschäftigte gleich behandelt. Der Betriebsrat kann eigene Ideen einbringen, um Arbeitsplätze zu sichern, die der Arbeitgeber anhören muss.
Wo Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen, beraten und kontrollieren sie den Vorstand und treffen wichtige strategische Unternehmensentscheidungen mit.
Konflikte über Entgelt und Arbeitsbedingungen werden außerhalb der Betriebe auf Ebene der Tarifpartner ausgetragen, zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Dieses duale System trägt dazu bei, Konflikte aus dem Betrieb herauszuhalten.
Mitbestimmung betrifft alle Beschäftigten. Jeder hat das Recht, sich am Arbeitsplatz für seine Interessen einzusetzen, auch mit Unterstützung seiner Gewerkschaft. Am besten lassen sich die Belange der Beschäftigten mit einem Betriebsrat durchsetzen, der die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen kollektiv gegenüber dem Arbeitgeber vertritt. Der Betriebsrat wird von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewählt (Näheres zu Betriebsratswahlen unter 2.5 bis 2.9).
In Unternehmen mit mitbestimmtem Aufsichtsrat steht zudem der Arbeitnehmerseite ein Drittel bzw. die Hälfte der Sitze zu. Die Arbeitnehmervertreter werden von der Belegschaft gewählt (mehr zum Thema Aufsichtsratswahlen unter 3.5).
Gewerkschaften spielen eine wichtige Rolle bei der Mitbestimmung, weil sie unter anderem wichtiges gewerkschaftliches und juristisches Know-how einbringen und Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter in Betriebs- und Aufsichtsräten Rückendeckung geben. In Kapitalgesellschaften über 2000 Beschäftigten schlagen sie zudem einen Teil der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat vor.
Mitbestimmung schätzen die meisten Deutschen als sehr positiv ein. Umfragen zeigen: 86 Prozent verbinden mit dem Begriff Mitbestimmung eine positive Assoziation. Die Wertschätzung für die Mitbestimmung drückt sich auch in der Wahlbeteiligung aus: Bei der Betriebsratswahl 2018 lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei rund 75 Prozent.
Allerdings haben viele Deutsche trotz der hohen Wertschätzung für Mitbestimmung große Wissenslücken, wenn es um konkrete Beteiligungsrechte von Beschäftigten geht.
Weitere Informationen:
Grafik: Mitbestimmung wird hochgeschätzt (jpg)
Publikation: Junge Leute wollen mitreden (pdf)
Soziale Verantwortung und wettbewerbsfähige Unternehmen sind kein Widerspruch. Sowohl hochproduktive als auch weniger leistungsfähige Unternehmen können durch Mitbestimmung ihre Produktivität steigern. Mitbestimmte Unternehmen haben höhere Investitions- und Ausbildungsquoten, sie tun mehr für die Beschäftigungssicherung und setzen häufiger auf Nachhaltigkeit. Zudem ist die Vorstandsvergütung eher längerfristig ausgerichtet und weniger am Aktienmarkt orientiert.
Das Betriebsverfassungsgesetz (erste Fassung 1952) regelt unter anderem die Wahl, Größe, Arbeitsweise und die Rechte des Betriebsrats. Außerdem legt es fest, wie dieser mit dem Arbeitgeber zusammenarbeiten soll.
Das Montan-Mitbestimmungsgesetz (verabschiedet 1951) regelt die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten von Unternehmen des Bergbaus und der eisen- und stahlerzeugenden Industrie, sofern sie als Aktiengesellschaft oder GmbH geführt werden und mehr als 1.000 Beschäftigte haben. Es legt fest, dass Arbeitsdirektoren nur mit Zustimmung der Arbeitnehmerseite als Vorstandsmitglied berufen werden dürfen.
Das Mitbestimmungsgesetz von 1976 (M76) regelt die Besetzung von Aufsichtsräten in Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten, allein oder zusammen mit ihren Konzerntöchtern. Das Mitbestimmungsgesetz gilt für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie für Genossenschaften.
Das Drittelbeteiligungsgesetz (verabschiedet 2004, vormals geregelt im Betriebsverfassungsgesetz 1952) regelt die Mitbestimmung im Aufsichtsrat von Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.
Der Europäische Betriebsrat (EBR) als Arbeitnehmervertretung in grenzüberschreitenden Unternehmen wurde durch eine EU-Richtlinie von 1994 eingeführt und in Deutschland 1996 in nationales Recht umgesetzt (siehe auch 4.4. „Was ist ein Europäischer Betriebsrat und welche Rechte hat er?“).
Mit der Gesetzgebung für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) setzte Deutschland 2004 die europäische SE-Richtlinie von 2001 um. Mit der SE wurden transnationale Mitbestimmungsregelungen eingeführt (siehe auch 4.2 „Welche Rolle spielt Mitbestimmung in der SE?“)
Mit dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG) wurde die entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt, die sich am Modell der Gesetzgebung zur SE orientiert.
In der Wirtschaft stehen Beschäftigte dem Arbeitgeber nicht gleichberechtigt gegenüber, es gibt einen Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital. Mitbestimmung hebt die Arbeitnehmerseite mehr auf Augenhöhe. Diese Rechte sind kein Geschenk an Arbeitnehmer oder Gewerkschaften, sondern wurden in der deutschen Geschichte hart erkämpft.
Gesetze verleihen den Interessen der Beschäftigten mehr Gewicht, bieten Schutz, lassen Gestaltung und Einflussnahme zu. So können viele Konflikte im Dialog gelöst und Kompromisse gefunden werden. Wo das nicht geht, sprechen Gerichte Recht. Die gesetzlich geregelte Mitbestimmung sorgt dafür, dass Beschäftigte nicht vom alleinigen Willen des Arbeitgebers abhängig sind.
Ehe die heute maßgeblichen Gesetze (Betriebsverfassungsgesetz, Montan-Mitbestimmung, Mitbestimmungsgesetz von 1976 sowie die europäischen Richtlinien zu EBR und SE) verabschiedet wurden (siehe 1.6 „Welche Gesetze sind für die Mitbestimmung maßgeblich?“) waren viele Kämpfe erforderlich. Die Grundlagen der heutigen Mitbestimmung reichen zurück bis zur 1848er-Revolution, in deren Folge erste Arbeiterausschüsse entstanden. In der Weimarer Republik brachten das Betriebsrätegesetz von 1920 und Gesetze über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in Aufsichts- bzw. Verwaltungsräte 1922 deutliche Fortschritte. Die Nazi-Diktatur beseitigte jede Form von betrieblicher Mitbestimmung: Per Gesetz wurden die Betriebsräte aufgelöst und die Gewerkschaften zerschlagen. Aber die Forderung nach substanzieller Mitbestimmung stand direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf der Tagesordnung. So wurde bereits 1946 unter den Alliierten ein Betriebsrätegesetz verabschiedet, und als Vorläufer zum Betriebsverfassungsgesetz gab es ab 1948 gesetzliche Regelungen in einzelnen Ländern.
Website: Mitbestimmung - Geschichte der Erfolge und Niederlagen (www.gewerkschaftsgeschichte.de)
Website: Zeittafel - Stationen der Mitbestimmung (www.gewerkschaftsgeschichte.de)
Mitbestimmung bringt Demokratie an den Arbeitsplatz. Damit Mitbestimmung funktionieren und wirken kann, braucht sie den Rückhalt der Beschäftigten. So entscheidet auch die Beteiligung an der Betriebsratswahl mit darüber, wie stark der Betriebsrat in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auftreten kann. Auch wer nicht kandidiert, kann bei Kolleginnen und Kollegen dafür werben, dass sie am Wahltag ihr Kreuz machen.
Nach der Wahl können Beschäftigte ihren Betriebsrat zum Beispiel dadurch unterstützen, dass sie an Betriebsversammlungen teilnehmen und sich dort auch zu Wort melden. Wer noch aktiver mitbestimmen will, lässt sich bei der nächsten Betriebsratswahl als Kandidatin oder Kandidat aufstellen. Denn Mitbestimmung braucht viele aktive Mitstreiter. Gewerkschaften unterstützen die Betriebsräte bei allen diesen Mitwirkungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt bedeutet Mitbestimmen auch, Gewerkschaftsrechte zu respektieren.
Die betriebliche und die unternehmerische Mitbestimmung tragen seit Jahrzehnten zum Erfolg der deutschen Wirtschaft bei. Allerdings verändern die Rahmenbedingungen sich tiefgreifend – durch die Globalisierung und das Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaft, durch den allgemeinen Wertewandel und durch Entwicklungen im Rahmen von digitalen Transformationsprozessen und neuen Arbeitsformen. Für alle diese Herausforderungen gilt es Antworten zu finden, die auch die Interessen der Beschäftigten wahren. Dabei beobachten Gewerkschaften seit Jahren, dass Mitbestimmung zunehmend ausgehebelt wird. So werden große Unternehmen in kleine Tochtergesellschaften umstrukturiert, und Rechtsformen wie die Europäische Aktiengesellschaft (SE) oder Familienstiftungen als Eigner bieten Möglichkeiten, Mitbestimmung zu vermeiden. Bekannt sind zahlreiche Fälle, in denen Arbeitgeber versuchen, die Gründung und Arbeit von Betriebsräten zu ver- und behindern. In anderen Fällen werden Unternehmensstandorte in verschiedenen Ländern gezielt gegeneinander ausgespielt.
Je nachdem, ob die Rahmenbedingungen für Mitbestimmung und Teilhabe auf längere Sicht gestärkt oder geschwächt werden und ob Arbeitsbedingungen künftig eher auf individueller oder auf kollektiver Ebene verhandelt werden, sind für die Zukunft verschiedene Szenarien vorstellbar, die von Wettbewerbsdruck und Verteilungskämpfen oder von Fairness und Solidarität handeln.
Website: Szenarien "Mitbestimmung 2035" (www.mitbestimmung.de)